Wladimir Majakowski,
Nachdichtungen E. Maaß

(aus: Gedichte - russisch und deutsch, Reclam Verlag, Leipzig 1985)

Ich

1
Auf der Chaussee
Meiner zertretenen Seelenstätte
Verschnörkeln Schritte Geistgestörter
Die Fersen starrer Verse
Da, wo erhängt
Die Städte sind
Und in der Wolkenschlinge längst
Erstarrten
Der Türme
Krumme Hälse –
Geh ich
Für mich und heule
Weil mit der Kreuzung
Gekreuzigt sind
Die Stadtschutzleute
1913

2
Einige Worte über meine Frau

Über unbekannter Meere Uferzargen
Spaziert die Mondfrau –
Meine Frau
Meine Geliebte, sie, die Rothaarfüchsin
Der Equipage
Folgt schreiend der Gestirne Schar, die wunderbar
geschmückt ist
Sie lässt sich trauen mit der Autogarage
Sie küsst sich flüchtig mit den Zeitungskiosken
Der Schleppe Milchstraße ist vom blinzelnden Pagen
Verziert mit blitzenden Flitterbroschen
Und ich?
Es brachte, dem Gebrannten, doch das Joch der Brauen
Aus Augenbrunnen eiskalte Eimer
In Seeseiden hingst Du, in schäumenden Auen
Deine Hüften sangen, Bernsteingeigen?
Ins Gebiet der Dächerbosheit
Wirfst Du nicht deine flimmernden Sehnen
In den Boulevards versinke ich, von der Schwermut der Sande umweht:
Es ist doch deine Tochter –
Mein Lied
Im Netzstrumpf
Neben den Cafés!
1913

3
Einige Worte über meine Mama


Ich habe ein Mama auf Tapeten, kornblumenblauen
Dich ich spaziere in bunten Pfauinnen
Quäle magere Mageriten, meinem Schrittmaß folgend
Es spielt der Abend auf lauen Oboen
Ich trete ans Fenster
Im Glauben
Dass ich wieder sehe
Auf dem Haus
Die hockende
Wolke
An der kranken Mama vorbei
Vom Bett bis zur leeren Bank
Zieht des Volkes Geraschel
Mama weiß –
Das ist: Haufen eines verrückten Gedankens
Kriechen dem Schustow-Werk aus dem Dache
Wenn meine Stirn, gekrönt vom Filzhut lind gebeult
In Blut taucht der erlöschende Rahmen
Werd ich sagen –
Zerteilend mit dem Bass das Windgeheul –
„Mama
Wenn mir leid zu tun beginnt
Eures Leidens Vase
Die zerbrach im Wirbel eines Wolkentanzes –
Wer wird dann die goldenen Hände zuende liebkosen
Die im Schild sich ringen am Schaufenster Avanzo?...“
1913

4
Einige Worte über mich selbst

Ich liebe es, zu sehn wie Kinder sterben
Habt ihr die düstre Woge der lachenden Brandung
Bemerkt
Hinterm Rüssel der Sehnsucht?
Ich, ach –
Im Lesesaal der Straßen –
Habe so oft durchgeblättert das Sargbuch
Mitternacht
Mit nasskalten Fingern betatschte
Mich
Und des Zauns Horizontale
Mit den Tropfen eines Platzregens auf der Kuppelglatze
Galoppierte eine wahnsinnige Kathedrale
Ich sehe, Christus der Ikone entsprang
Des Chitons abgewindeten Saum
Küsste, weinend, der Schlamm
Ich schreie den Ziegelstein an!
Den Dolch rasender Worte ich ramm
In des Himmels gedunsenes Weichfleisch:
„Sonne!
Mein Vater!
Wenigstens Du mich nicht quäle!
Das ist: Von dir vergossen, mein Blut, fließt mit dem Talweg
Das ist meine Seele
Als Fetzen einer geborstenen Wolke
Im ausgebrannten Himmel
Am Rostkreuz des Glockenturms!
Zeit!
Wenigstens du, hinkender Gottschminker
Pinsle mein Antlitz
Auf die Ikone der Missgeburt des Jahrhunderts!
Einsam bin ich wie das letzte Auge
Eines Menschen auf den Weg zu den Blinden!“
1913


Kummer

Windkerl, vergeblich verwegen
Prügel brutal sich am Wege
Tropfen Blutes erstarren
Schwarz zu Dächern aus Sparren
Mondfrau zur Nacht verwitwet
Trat auf, um einsam zu witwen
1920


Seichte Philosophie an tiefen Stellen

Ich verwandle mich,
wenn nicht in Tolstoi, dann in einen Rolls Royce –
Esse,
schreibe
von der Hitze blass
Wer hat sich nicht übers Meer geäußert?
Nass

Gestern
war der Ozean
teuflisch fies
Heut
ist er sanft
wie ne brütende Ente
Welch riesiger Unterschied.
Alles fließt...
Alles verändert sich

Das Wasser
hat
seine Zeitraster:
Flutstunden,
Ebbestunden
Auch Steklows Feder
gings nie aus
das Wasser
Wunden

Das tote Fischlein
treibt allein
Hängend
die Flossen
wie Flügel zerschossen
Es treibt wochenlang
ist nicht ja –
ist nicht nein
Weder Jacke noch Hose

Entgegen kommt
langsamer als eines Seelöwen Leibung
Ein Dampfer aus Mexiko
und wir –
sind bereit

Anders geht’s nicht.
Teilung
Der Arbeit
Das is’n Wal, so sagt man.
Mag stimmen
Ne Art fischiger Bedny,
Umfang dreimal
Nur ist die Demjan der Schnurrbart außen
doch innen
Beim Wal

Jahre – sind Möwen
fliegen der Reihe nach auf –
Das Bäuchlein mit Fischen füllen,
ins Wasser segeln
Die Möwen – verschwanden.
Überhaupt
Wo sind die Vögel?

Ich wurde geboren,
wuchs auf
mit Schnuller und Windeln –
Hab gelebt,
gearbeitet,
wurde grau vor den Ohren...
Das Leben schwindet,
wie entschwanden die Inseln
der Azoren
1925